Auf TikTok begeistert sie mit ihren kurzen Videos über den Pflege-Alltag über 147.000 Follower. Nun hat Hatice Koca ihr erstes Buch "In besten Händen. Tagebuch einer Krankenschwester (Verlag edition a, 22 Euro) veröffentlicht, in dem sie einen humorvollen, ehrlichen und emotionalen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit auf einer Intensivstation wirft. Im "Heute"-Interview berichtet die 30-Jährige von ihren Erfahrungen.
"Eigentlich wollte ich Hebamme werden, habe mich aber dann zum Spaß für die Pflege-Ausbildung beworben. 2019 habe ich mit dem Studium angefangen, und das hat mich schnell abgeholt. Mir war damals nicht bewusst, wie vielfältig die Pflege ist", erzählt Koca.
Zeitgleich zu ihrem Studium begann die 30-Jährige auch mit ihrem TikTok-Kanal. Heute hat sie über 147.000 Follower und über 6,2 Millionen Likes: "TikTok ist ein bisschen surreal, eine eigene Welt. Es ist sehr schnelllebig, aber über die Jahre gewöhnt man sich daran. Mein primäres Ziel war immer, die Pflege zu vertreten. Und dieses Ziel habe ich erreicht. Ich bin stolz darauf, denn ich war eine der Pionierinnen."
2022 schloss die Wienerin ihr Studium ab, arbeitete danach sofort auf der Intensiv-Station eines Wiener Spitals. Der Start war nicht leicht: "Bei den Praktika hast du ja immer jemanden an deiner Seite. Aber dann musst du selbstständig Entscheidungen treffen und auch handeln. Als Pflegekraft bist du auf vielen verschiedenen Ebenen gefragt – menschlich und intellektuell. Du musst schnell denken und handeln können, manchmal aus purem Instinkt heraus."
„Man muss es zulassen, die Trauer fühlen zu dürfen, sonst wird man emotional abgestumpft“Hatice Kocaüber Sterbefälle auf der Intensivstation
Im blauen Kittel und mit schwarzem Hidschab rettet die gläubige Muslima Leben, redet auch mit bewusstlosen Patienten. Manche Erlebnisse haben sich in ihr Gehirn eingebrannt: "Die Geschichte von Emma ging mir besonders nah, da sie erst 36 Jahre alt war. Nach ihrer siebenten Fehlgeburt hatte sich eine Lungenembolie entwickelt – sie drohte, vor unseren Augen zu ersticken. 20 Minuten lang hatte sie keinen Herzschlag. Wir haben versucht, sie wiederzubeleben – jeder hat mitangepackt, hat 110 % gegeben. Wir konnten sie dann stabilisieren."
Auf die Frage, wie sie denn mit Sterbefällen und Trauer umgeht, meint Koca: "Mir hilft das Reden ganz stark und auch mein Glaube. Bei jüngeren Patienten stellt man sich natürlich die Fairness-Frage. Man muss es zulassen, die Trauer fühlen zu dürfen, sonst wird man emotional abgestumpft. Und die Menschen würdigen, die den Kampf verloren haben – denn der Tod wird uns alle heimsuchen. Es geht oft darum, wie man mit dem Leichnam umgeht und eine menschenwürdige Atmosphäre schafft."
Auf der Intensivstation landen oft Menschen mit einer Kombination aus vielen Leiden: "Meist sind es Herz-Kreislauf-, Lungen- und Nierenerkrankungen, aber auch Blutvergiftungen. Viele Vorerkrankungen wurden im Vorfeld nicht richtig behandelt, den Menschen fehlt oft das Bewusstsein bzw. die Gesundheitskompetenz. So sind zum Beispiel die meisten COPD-Patienten, die ich auf der Station betreue, starke Raucher. Zudem haben wir viele Alkoholiker bei uns", berichtet die 30-Jährige.
Hinzu kommt, dass Patienten immer aggressiver und renitenter werden – auch auf der Intensivstation: "Der Spruch: 'Wer randaliert, wird relaxiert, wer diskutiert, wird intubiert', ist überspitzt und klingt vielleicht extrem, stellt aber manchmal leider den letzten Ausweg dar. Wir hatten zum Beispiel eine Patientin, die ständig ihre Zugänge, Kabeln und Nadeln herausgerissen hat. Wir mussten sie fesseln, aber sie schlug weiter um sich. Also haben wir ihr ein Benzodiazepin (Schlaf- und Beruhigungsmittel, Anm.) gespritzt. Die Hemmschwelle zur Gewalt wird immer geringer, die Verabreichung von Medikamenten immer häufiger", erklärt Koca.
„Das System ist am Limit. Der Personalmangel ist abartig, und er nimmt nicht ab“Hatice Kocaweist auf Mängel im System hin
Obwohl die verheiratete Wienerin ihren Beruf liebt, weist sie auch auf die eklatanten Mängel im Gesundheitssystem hin: "Das System ist am Limit. Der Personalmangel ist abartig, und er nimmt nicht ab. Bis 2030 fehlen 75.000 Pfleger:innen. Das sind brutale Zahlen, die sich jetzt schon bemerkbar machen. Gehaltsanpassungen sind nett, aber um uns zu entlasten, braucht es weitaus mehr als das."
Für Koca – sie ist derzeit nach der Geburt ihres ersten Kindes in Karenz und will ihren Master in Pflegepädagogik abschließen – ist klar: "Wir müssen das Image der Pflege wieder aufbauen. Wir wischen nicht nur Scheiße ab. Wir sind nicht nur die Assistenten der Ärzte. Menschen zu helfen, ist extrem wertvoll und gibt einem so viel. Wir sind nicht nur wichtig, wir sind Superhelden. So cool wie die Avengers. Ich selbst wäre gerne Iron Man – der gibt alles für alle!"