Thomas Stiller hat als Busfahrer schon viel erlebt: "Fast hätte mich ein Fahrgast am Hals erwischt. Ich hatte unglaubliches Glück." Der Arm des aggressiven Mannes war zu kurz. "Deshalb wurde er durch die Glasabtrennung abgehalten", erzählt Stiller.
Anekdoten wie diese gebe es viele im Leben eines Busfahrers, sagt der 51-Jährige zu "Heute": "Als Lenker hast du von Anfang an einen harten Job. In den letzten Jahren wurde es aber immer schlimmer. Der Druck auf uns Busfahrer ist extrem gestiegen."
Mitte Februar war es deswegen in ganz Österreich zu Warnstreiks gekommen, "eines der letzten Mittel im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen", sagt Stiller und erklärt: "Der Diesel oder ein neuer Bus kostet für alle Unternehmen gleich viel. Bei uns Fahrern ist für Unternehmen aber Geld zu holen. Wir sind der einzige Faktor, wo sie viel sparen können."
Als vor rund zehn Jahren mit der Vergabe neuer Linien zu Fixpreisen aufgehört wurde, habe sich das "Billigbieterprinzip und immer schlimmere Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Auch deshalb sind wir auf die Straße gegangen", erklärt der Gänserndorfer, der die Stimmung seiner Kollegen noch besser kennt, seit er sich zum Betriebsrat wählen hat lassen.
Während viele von Stillers Kollegen mit Versammlungen in ihren Betrieben und dann sogar mit Streiks auf ihre Lage aufmerksam gemacht haben, saß Stiller auch in Verhandlungsgremien der Gewerkschaft. Als die Arbeitgeberseite über eine Pressemeldung ausrichtete, dass Busfahrer "einen der höchsten Einstiegslöhne und attraktive Arbeitsbedingungen" hätten, gab die Gewerkschaft ihre Streikfreigabe an rund 15.000 Lenker – "Heute" berichtete.
"Das war alles extrem belastend. Der Druck aus der eigenen Firma einerseits, auf der anderen Seite, der Wille der Gewerkschaft, Verbesserungen durchzusetzen und nach vier Verhandlungsrunden noch immer kein Kompromiss. Die Fronten waren schon so verhärtet, dass niemand wusste, ob wir eine Einigung erzielen, oder bald alle auf der Straße stehen."
Zuvor hatte auch noch der Chefverhandler der Unternehmerseite, der Busunternehmer Martin Horvath, Aussagen der Busfahrer "auf das Schärfste" zurückgewiesen. Von Lohndumping zu sprechen, sei ein "unverantwortlicher Angriff auf die gesamte österreichische Busbranche", sagte der Obmann der Berufsgruppe Bus in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Österreichweit berichteten Medien vom Scheitern der Verhandlungen.
"Auch am Mittwoch wurde bis in die späten Abendstunden gestritten. Dann aber, ist uns der Durchbruch gelungen", sagt Stiller mit hörbarer Zufriedenheit in der Stimme: "An langen Arbeitstagen, bis zu 15 Stunden unterwegs zu sein, in einem geteilten Dienst, drei oder vier Stunden am Morgen und noch einmal am Abend, mit unbezahlten Stehzeiten, alleine, irgendwo fernab jeder Infrastruktur, dazu kann man uns jetzt nicht mehr zwingen."
Ein Entschlagungsrecht im neuen Kollektivvertrag verhindert das, erklärt der Niederösterreicher: "Niemand muss mehr geteilte Dienste fahren. Wer das ablehnt, kann deshalb nicht gekündigt werden. Aber wenn etwa Nebenerwerbsbauern im ländlichen Bereich weiterhin so fahren möchten, können sie es."
Österreichs Arbeitsgesetzgebung legt für die allermeisten Branchen mindestens 11h Nachtruhezeit fest. "Anders ist das bei uns, wo nur neun Stunden, an drei Tagen der Woche, üblich waren", sagt Stiller und rechnet vor: "Eine, für manche Lenker sogar zwei Stunden Heimweg, Duschen, dann schnell etwas kochen und essen. Da bleiben vielleicht fünf Stunden für Schlaf und entspannte Freizeit über, bevor es wieder auf zur nächsten Schicht geht. Auch das haben wir wegverhandelt."
Der neue Kollektivvertrag der Busfahrer hält fest, dass diese nur noch einmal pro Woche eine kurze Nachtruhezeit von neun Stunden haben dürfen. Stiller und seine Kollegen feiern das als Meilenstein.
Die Lenker müssten sich die Verbesserungen jetzt nicht mehr mit Lohnkürzungen an anderer Stelle selbst bezahlen, sagte Anil Zümrüt, der Verhandlungsleiter der Gewerkschaft vida direkt nach Verhandlungsabschluss.
Und noch etwas haben die Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft gebracht: Die Arbeitgeber haben nun auch einer Reallohnerhöhung in Form einer Inflationsabgeltung über der errechneten jährlichen Inflation zugestimmt. Die Busfahrer erhalten rückwirkend 3,6 Prozent mehr Lohn ab 1. Jänner 2025. Und auch 2026 sollen die Löhne an die Inflation angepasst werden, schreibt die Gewerkschaft vida in einer aktuellen Aussendung.
"Wir haben weiterhin große Baustellen", gibt Thomas Stiller zu bedenken. Etwas bei den Nachtzuschlägen hätten sich die Dienstgeber nur wenig bewegt. "Außerdem werden uns noch immer 1,5 Stunden vom Lohn abgezogen, wenn wir mit dem Bus länger als drei Stunden wo stehen. Auch die soziale Infrastruktur lässt zu wünschen übrig, allem voran der Mangel an WCs und Räumen, um eine Pause zu machen. Da gehört noch viel getan." Die Unternehmen würden hier aber die Politik in der Verantwortung sehen.
Dann hebt sich plötzlich die Stimme von Stiller: "Aber die Streiks haben gewirkt. Für heuer ist uns wirklich viel gelungen."