Die Sonne faucht mit maximaler Kraft! Immer wieder schleudert sie in gewaltigen Eruptionen riesige Mengen an Plasma ins Weltall – auch in Richtung Erde. Im Extremfall kann ein starker Sonnensturm schwerste Schäden auf unserem Planeten anrichten.
"Erreicht so ein Sonnensturm die Erde, kann er uns vorübergehend in die technologische Steinzeit zurückwerfen", warnte ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger in einem "Spiegel"-Interview. Strom- und Kommunikationsnetze würden zusammenbrechen, Satelliten lahmgelegt. Weitreichende Blackouts, die Tage oder Wochen dauern könnten, wären die Folge.
Die Welt dürfte auf einen solchen Supersturm nicht vorbereitet sein. Während der allerersten Ernstfallübung in den USA im Mai 2024 offenbarten sich nicht nur gravierende Lücken in der Reaktionsfähigkeit der Behörden. Es wurde auch festgestellt, dass es "dringend notwendig" sei, robustere Vorhersagefähigkeiten für Weltraumwetter-Gefahren zu entwickeln.
Denn trotz der großen Fortschritte in diesem Bereich sind unsere aktuellen Frühwarnsysteme quasi auf einem Auge blind. Wissenschaftler können zwar bereits anhand des Ausbruchs auf der Sonnenoberfläche errechnen, ob und wann ein Sonnensturm die Erde treffen wird. Eine kritische Information bleibt jedoch bis zum letzten Moment unbekannt: die sogenannte Bz-Komponente. "Wir wissen nicht, wie schlimm es werden wird", erklärt Valentín Martínez Pillet in einem Interview mit "Space.com".
Valentín Martínez Pillet ist ein spanischer Sonnenphysiker und seit Juli 2024 Direktor des Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC) in der Universitätsstadt San Cristóbal de La Laguna auf Teneriffa. Zuvor war er langjähriger Direktor des Nationalen Sonnenobservatoriums (NSO) in den Vereinigten Staaten.
Die Bz-Komponente beschreibt die Ausrichtung des Magnetfelds des heranschießenden Sonnenmaterials und ist der wichtigste Faktor für die Einschätzung möglicher Schäden. Währen eine nördliche Ausrichtung für uns nur minimale Auswirkungen hat, ist eine südliche (negative Bz-Komponente) potenziell katastrophal. Dann nämlich wird die Magnetosphäre der Erde mit Energie aufgeladen, das Erdmagnetfeld vorübergehend gestört – man spricht von einem geomagnetischen Sturm.
Für bessere Vorhersagen und Frühwarnungen braucht es einen Perspektivenwechsel im All, bekräftigt der Direktor des Instituts für Astrophysik auf den Kanaren.
Das derzeitige Problem der Forscher ist, dass die meisten Satelliten wie auch das Deep Space Climate Observatory (DSCOVR), die unsere Sonne überwachen und heranrauschende Stürme messen, am Lagrange-Punkt 1 (L1) geparkt sind. Das ist zwar bequem, weil sie dort eine stabile Position im All haben, jedoch noch immer viel zu nah an der Erde. L1 befindet sich etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Das klingt nach viel, ist aber nur rund 1 Prozent unseres Abstands zur Sonne.
"Wir müssen mit der Vorhersage der Bz-Komponente beginnen, sobald der Koronale Massenauswurf aufgetreten ist, und nicht erst, wenn wir sie bei L1 messen, wo wir nur eine oder zwei Stunden Vorwarnzeit haben", betont Martínez Pillet. Von wissenschaftlicher Seite stünde dem nichts im Wege: "Die Modelle sind da, wir kennen also die Gleichung, die wir lösen müssen. Was uns fehlt, sind mehr Daten von allen Seiten der Sonne."
Im Idealfall würden auch von den anderen Lagrange-Punkten aus Messungen durchgeführt. Dort Satelliten zu parken wäre zwar kostspielig und aufwendig, laut dem Spanier aber essentiell, um die Magnetfeldstruktur eines Sonnensturms schon bei seiner Entstehung analysieren zu können.
Bisher stehen für die Vorhersage des Weltraumwetters jedoch nicht dieselben Ressourcen zur Verfügung wie für Wetterprognosen auf der Erde. Die Menschheit wird jedoch immer anfälliger für solche stellare Störungen. "Die Sonne verändert sich nicht, sie tut, was sie tut", sagt Martínez Pillet und drängt zur Eile: "Wir sind es, die mehr und mehr von Technologie abhängig werden".
Extreme Sonnenstürme wie etwa das berühmte Carrington-Ereignis von 1859 – damals leuchteten sogar in Rom Polarlichter während Telegrafennetze in Flammen aufgingen – sind zwar selten, aber doch zu häufig, um sich nicht dagegen abzusichern.
Erst 2012 ist die Erde nur knapp einem solchen Katastrophenfall entgangen. Am 23. Juli wurde einer der stärksten Massenauswürfe der Messgeschichte registriert. Der Sonnensturm fegte durch die Umlaufbahn der Erde, verfehlte uns nur um neun Tage.
"Wenn es uns getroffen hätte, würden wir jetzt noch immer die Trümmer aufräumen", sagte Daniel Baker von der University of Colorado (siehe Video) zwei Jahre danach. Eine Studie aus 2013 schätzte den potenziellen Schaden alleine für die USA auf zwischen 600 Milliarden und 2,6 Billionen damaliger Dollar.
Wenig beruhigend: Wir wissen auch nicht, wie schlimm es überhaupt werden kann. Jüngste Forschungsergebnisse zu Fossilienfunden aus den Alpen haben die Latte für das Worst-Case-Szenario noch einmal höher gelegt. Anhand des Kohlenstoff-Isotops 14C konnte festgestellt werden, dass die Erde zum Ende der letzten Eiszeit, um das Jahr 12350 v. Chr, von einem Supersturm getroffen wurde. Dieser dürfte über 500 Mal intensiver gewesen sein als das bisher größte Ereignis der modernen Satellitenära. Mehr dazu hier: