Früher war der Elternabend der Ort für Diskussionen. Heute reicht oft schon ein Klick in der App – und Lehrer stehen unter Dauerfeuer. Die Schularbeit ist kaum korrigiert, da flattern Beschwerden ins Postfach. Freundlich ist da oft nichts mehr.
Was viele Eltern als legitime Rückfrage sehen, ist für Lehrkräfte längst täglicher Stress. Eine Wiener Volksschullehrerin beschreibt die Situation gegenüber heute als "psychische Belastung", die weit über normale Gespräche hinausgeht. Aus Angst vor Anrufen gibt sie Noten erst verspätet bekannt.
"Ich geb die Noten oft erst Montag raus, obwohl ich sie am Freitag fertig hätte", sagt die Lehrerin. Der Grund: Sobald die Eltern über die App eine Note sehen, beginnen Fragen, Beschwerden, manchmal sogar Vorwürfe – per Nachricht, Anruf oder persönlicher Vorsprache.
Immer öfter verlangen Eltern unmittelbar nach einem Test ein Gespräch. Da muss dann erklärt werden, warum ein Punkt in Mathe gestrichen wurde oder weshalb der Ausdruck im Aufsatz nicht für ein "Sehr gut" gereicht hat. "Ich bewerte nach fixen Vorgaben – ich hab da oft gar keinen Spielraum", erklärt sie. Das scheint aber viele nicht zu interessieren.
Die Lehrerin erlebt regelmäßig, wie sich einfache Nachfragen in aggressive Auseinandersetzungen verwandeln. Ein Vater habe zuletzt minutenlang eine Mathearbeit mit ihr diskutiert – als wäre sie vor Gericht. Für sie ist klar: "Ich hab das Gefühl, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch ich Post vom Anwalt bekomme."
Solche Gedanken sind längst keine Ausnahme mehr. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer fürchten, dass der nächste Elternkontakt nicht im Klassenzimmer, sondern auf dem Papier einer Kanzlei stattfindet. Pädagogik wird zur Verteidigung – Schulalltag zum Minenfeld.
Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigt eine Umfrage unter mehreren hundert Lehrkräften in Wien. Bereits zehn Prozent hatten direkten Kontakt mit von Eltern beauftragten Anwälten. Was früher ein Einzelfall war, wird zur neuen Realität.
"Immer mehr KollegInnen berichten von Einschüchterungsversuchen und rechtlichen Drohungen", sagt Thomas Krebs, Lehrergewerkschafter in Wien. "Manche wurden sogar juristisch belangt – wegen ganz normaler schulischer Entscheidungen."
Krebs schlägt Alarm – nicht nur wegen der Häufigkeit, sondern auch wegen einer neuen Dynamik. "Anscheinend sehen manche Anwälte in der Schule ein lukratives Geschäftsfeld", warnt er. Eltern, die nicht kooperieren wollen, lassen ihre Forderungen mittlerweile professionell vertreten.
Das verschiebt die Machtverhältnisse. Lehrer werden zu Gegnern gemacht, jeder Konflikt wird zum Fall – mit Rechnung. Dabei leiden nicht nur die Pädagogen. Auch der Fokus auf das Kind, das Lernen und der Unterricht selbst gehen im Streit verloren.
Viele Pädagogen berichten, dass sie sich im Ernstfall völlig alleingelassen fühlen. Es fehlt an Rückhalt von Direktionen, an klaren Regeln für den Umgang mit eskalierenden Eltern – und an professioneller Hilfe im Hintergrund.
Krebs fordert eine Wende: Lehrer müssten nicht nur emotional, sondern auch strukturell gestärkt werden. Nur mit Unterstützung durch Schulpsychologen, Sozialarbeiter und Jugendwohlfahrt könne man die Situation stabilisieren und das Vertrauen zurückgewinnen.
Lehrer unterrichten – sie führen keine Beweisaufnahme. Doch genau so fühlen sich viele mittlerweile. "So wie wir Lehrer uns nicht in juristische Verfahren einmischen, erwarten wir auch, dass sich Anwälte nicht in unsere pädagogische Arbeit einmischen", sagt Krebs.
Solange jede Benotung zur potenziellen Anklage wird, ist der Bildungsauftrag gefährdet. Schule muss ein geschützter Ort bleiben – für Lehrer, für Kinder, für echte Zusammenarbeit. Und nicht zum Spielfeld für juristische Ego-Schlachten verkommen.